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Es ist Frühling

Es ist Frühling

Nicht nur ein bisschen. Nicht so „Oh, wie schön, die ersten Blumen“-Frühling. Nein. Richtig. Erde. Feucht. Warm. Leben.

Ich steh da, Nase im Wind, Ohren nach vorn, und ich weiß: Es geht wieder los.
Es beginnt in der Nase. Ein Hauch. Ein Flimmern. Ein Geruch, zart und doch so deutlich.

Frühling. Kein Zweifel.

Die Erde ist offen. Die Welt atmet wieder. Der Boden lebt. Ich rieche, was kommt. Wer kam. Alles spricht, ohne einen Laut.

Ich könnte losrennen. Einfach so. Alles in mir will das. Die Muskeln, die Pfoten, der Rücken. Aber da ist die Leine. Ich hab nichts gegen sie. Sie gehört dazu. Meine Zweibeinerin hängt da dran, also passt das. Aber jetzt, im Frühling, stört sie manchmal doch ein bisschen. Weil ich weiß: Da draußen ist mehr. Mehr als zwei Meter Radius.

Und dann fällt’s mir ein. Brutzeit. Setzzeit. Natürlich. Die Kleinen kommen jetzt. Die Rehkitze, die jungen Vögel, alles will in Ruhe gelassen werden. Ich riech sie – lange bevor meine Zweibeinerin sie überhaupt sieht. Ich würd die Kleinen nie verletzen. Das weiß ich. Aber das reicht nicht. Regeln gelten für alle. Auch für mich. Auch wenn ich älter bin. Auch wenn ich mehr weiß als diese kläffenden Junghunde am Feldweg.

Also bleib ich dran. Ich zieh nicht. Ich lass die Leine locker.
Trotzdem, mein Körper erinnert sich.
Wie es war, frei zu rennen, durch die Felder, durch den Wald, den Wind im Gesicht. Wie meine Zweibeinerin lachte, rief – manchmal rief sie zu viel – und ich kam trotzdem zurück. Immer.

Jetzt ruft sie nicht. Sie hält fest.

Die Sonne kommt. Noch milde. Ich spüre es schon mittags. Mein Fell, das mich schützt, wird zur Last. Es ist gut für Januar, nicht für Mai. Ich gehe langsamer. Nicht aus Trägheit. Aus Vernunft. Ich weiß, wann es klug ist, zu ruhen.

Und doch gibt es Momente, die alles aufwiegen. Wenn die Sonne tief steht. Wenn das Gras weich ist. Wenn wir beide schweigen, meine Zweibeinerin und ich. Ich liege, sie sitzt. Ich höre, sie sieht. Manchmal gibt es ein Leckerchen für mich.

Ich brauche nicht viel.

Nur das Wissen: Bald. Bald darf ich wieder freier sein. Bald ist der Frühling vorbei – nicht im Duft, nicht im Licht, aber in den Regeln. Die Leine wird länger. Die Wege weiter.

Ich hab kein Kalendergefühl. Ich zähl keine Wochen. Aber mein Körper weiß: Der Tag kommt. Wenn ich wieder darf. Wenn die Leine ab ist. Wenn meine Zweibeinerin sie kurz vergisst oder es einfach richtig findet. Dann renn ich. Nicht aus Trotz. Nicht zum Weglaufen. Sondern weil’s geht.

Ich bleib in Sichtweite. Immer.

Frühling ist nicht in allem perfekt. Aber er ist echt.

Und ich bin bereit.

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